Fakten zum Artikel
Ort:

Hamburg

Wer:

Unternehmer, Hausbesetzer, Anwohner, Vertreter von Behörden, Politiker, Demonstranten, Medienvertreter, Engagierte in Bürgerinitiativen, Künstler

Was:

Im August 2009 droht die Zerstörung des historischen Hamburger Gängeviertels. Daraufhin besetzen Künstlerinnen und Künstler das Gebäude und feiern ein Hoffest. Die Initiative „Komm in die Gänge“ gründet sich und postuliert eine Stadtplanung von unten. Wie geht die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt damit um?

„Stadtplanung von unten“

Hamburg, August 2009: Das Gängeviertel wird von Künstlerinnen und Künstlern besetzt. 200 Menschen begeben sich in Häuser, die seit Jahren leer stehen. Dort schaffen sie durch Eigeninitiative und ehrenamtliches Engagement Räume, die schnell großen Anklang finden.

Alleine am ersten Wochenende kommen 3.000 Besucher für ein Hoffest in das Gängeviertel. Das Viertel besteht aus zwölf Altbauhäusern mit einem Fachwerkgebäude und einem Fabrikgebäude aus der Spätgründerzeit. Da die Stadt Hamburg das Gebäudeensemble zuvor an den niederländischen Investor Hanzevast verkauft hat, droht nun die Räumung durch die Polizei. Der Investor will 80 Prozent der Gebäude abreißen und umfassende Bauarbeiten durchführen. Der öffentliche Druck wächst und die Stadtverwaltung entschließt sich daraufhin, das Viertel vom Investor zurückzukaufen. Dies führt dazu, dass die Künstler und Initiativen in den Häusern bleiben dürfen. Im Jahr 2010 legt die Initiative „Komm in die Gänge“ ein Nutzungs- und Sanierungskonzept vor, das auch Grundlage für die Verhandlungen mit der Stadt Hamburg sein soll. Denn das Gängeviertel muss nach dem jahrelangen Leerstand saniert werden. Dabei sind sowohl der Denkmalschutz als auch die Interessen der Bewohner zu berücksichtigen. Dazu berichtet die Initiative „Komm in die Gänge“:

Wir wollen die Häuser nach der Sanierung weiterhin selbst verwalten. Dafür haben wir die „Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG“ gegründet. Viele Unterstützer haben bereits Anteile gezeichnet. Ihnen gegenüber stehen wir in besonderem Maße in der Pflicht, das Gängeviertel als lebendigen Ort für Kunst, Kultur und soziale Projekte zu sichern. Gerade deshalb ist uns an nachhaltigen und sozial verträglichen Lösungen gelegen.

Durch die Gründung einer Genossenschaft wollen die Bewohnerinnen und Bewohner Anteile an den Gebäuden erwerben und so direkten Einfluss auf die Umbauten und Renovierungsarbeiten nehmen. Da die Sanierung von Wohn- und Geschäftsräumen jedoch auch einen Preisanstieg und die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen in der Nachbarschaft mit sich bringen können, ruft  die Initiative „Komm in die Gänge“ zu Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit auf.

 

Netzwerk der Vielfalt: Recht auf Stadt für Alle

Die Initiative „Komm in die Gänge“ ist Teil des Netzwerkes „Recht auf Stadt“. Dieses Netzwerk besteht aus 57 Initiativen, die unterschiedlichste Interessen im „Kampf gegen Gentrifizierung“ vertreten. Die Besonderheit an diesem offenen Netzwerk ist dabei zum einen die enorme inhaltliche Vielfalt, und zum anderen der langfristige Zusammenhalt. Inhaltlich zeichnet sich das Netzwerk durch eine ganze Reihe von Schwerpunkten aus: neben den allgemeinen Fragen der Gentrifizierung interessiert die Akteure auch die Frage nach der Rolle von Subkulturen für die Stadtentwicklung. Insbesondere seit der Formulierung der Idee einer „kreativen Klasse“ durch den US-Ökonomen Richard Florida, gibt es in vielen Städten den Wunsch nach der gezielten Ansiedlung kreativer Milieus in urbanen Zentren, um diese aufzuwerten. Damit kann einhergehen, dass diese Milieus vermarktet und vereinnahmt werden, was wiederum zur Verdrängung alteingesessener Milieus, nämlich der ursprünglichen Anwohner, führen kann. Auch die Akteure des Netzwerkes „Recht auf Stadt“ wehren sich gegen eine Vereinnahmung durch die Politik. So kritisiert die Genossenschaft des Gängeviertels das Handeln der Politik:

Beim bisherigen Prozess wurde das Ziel einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe aus unserer Sicht verfehlt. Die erhoffte Kooperation ist zu einem paternalistischen Verfahren mutiert. So droht nun auch im Gängeviertel ein übliches Top-Down-Verfahren, das keine Sensibilität für die Besonderheiten des Ortes und für die ehrenamtliche Beteiligung zeigt. Die Außendarstellung und die Kommunikation über die offiziellen Kanäle der Stadt stellt die Besonderheit dieses Bauvorhabens heraus, lässt aber das langjährige Engagement der Initiative „Komm in die Gänge“ nahezu unerwähnt oder vereinnahmt dieses für die eigenen Zwecke.

Die erhoffte Mitbestimmung in der Planung und Umsetzung der Zusammenarbeit hat bisher nicht funktioniert. Statt einer gleichberechtigten Kooperation empfinden die Initiatoren das Verfahren als „von oben herab“ und von der Politik gesteuert. Zudem fühlen sich die Initiatoren nicht entsprechend wertgeschätzt, was ihr ehrenamtliches und freiwilliges Engagement betrifft. Sie befürchten eine Vereinnahmung. So setzt die Genossenschaft weiter auf eine Planung und Initiative von unten und will dazu mehr Akteure vernetzen.

Zur Vernetzung ist das „Recht auf Stadt“-Netzwerk der übergeordnete, größere Rahmen. Fragen der Ökologie wie z.B. die Rolle und der Umfang von städtischen Grünflächen, die Mieten-, Wohnraum- und Leerstandsproblematik und Fragen von Demokratie, Teilhabe und Aneignung stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Das Netzwerk hat dabei keine festen Vertretungsstrukturen, keine Sprecherinnen und Sprecher und führt kaum gemeinsame Aktionen aller Beteiligten durch. Als wichtiges Handlungsfeld wird die Aktivierung bestehender älterer Netzwerke, die in Nachbarschaften und Kiezen vorhanden sind, betrachtet. Die Aktionsformen des Netzwerkes sind ebenso vielfältig, wie die inhaltlichen Akzente. Neben den erwähnten Besetzungen von Häusern, Plätzen und sogar Bäumen stören manche Akteure des Netzwerks gezielt auch städtepolitische Veranstaltungen von Politik und Wirtschaft. Diese Aktivitäten werden medial stark wahrgenommen und öffentlich entsprechend kritisiert. Festzuhalten ist allerdings, dass es eine ganze Reihe von anderen Formen des Protestes und des Engagements gibt. Auch Straßenfeste, Fahrradtouren und Stadtteilversammlungen gehören zum Repertoire des Netzwerks. Zu den ungewöhnlicheren aber nicht minder spektakulären Aktionsformen gehören Walzer-Paraden, spontane Wunsch-Demos und die Störung von Wohnungsbesichtigungen durch „Fette-Mieten-Partys“. Daneben hat sich auch ein breites Feld an juristischen und politischen Aktivitäten herausgebildet, über das in den Medien weniger berichtet wird. Die Aktivisten entwickeln Bürgerbegehren auf Bezirksebene, sie starten Unterschriftenkampagnen und erzeugen auf diese Weise politischen Druck. Dazu kommt eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit, die mit Internetseiten, Zeitungen, Plakaten, Manifesten, Flyern, Buttons, Aufklebern, Wimpeln und Filmen für die Anliegen des Netzwerkes und der Initiativen wirbt. Diese inhaltliche und organisatorische Breite trägt neben regelmäßigen Vernetzungstreffen dazu bei, dass das Netzwerk „Recht auf Stadt" mit seinen zahlreichen Initiativen seit 2009 Bestand hat und weiter arbeiten kann.

 

Leitbilder und Konzepte: Was macht die Stadt?

„Hamburg soll im globalen Wettbewerb ganz vorn positioniert werden, es soll zu den World Winning Cities der Zukunft gehören.“

„Metropole Hamburg – wachsende Stadt“

„Hamburg, so gefällst du mir“

„Hamburg – Wachsen mit Weitsicht“

Dies sind Aussagen des städtischen Selbstverständnisses der Hamburger Politik aus den Jahren 2004 bis 2008. Es handelt sich um die Slogans und Leitbilder, mit denen Hamburg in dieser Zeit geworben hat. Dahinter steht der Wille, Hamburg als wachsende und erfolgreiche Stadt weiter zu entwickeln. Dazu dienten vor allem Großprojekte: die Internationale Bauausstellung (IBA), die Internationale Gartenausstellung (IGA), der Ausbau des Hafens, die Entwicklung der Hafencity und der Bau der Elbphilharmonie. Das sind aber längst nicht alle Handlungsfelder der Politik, auch wenn diese medial besonders viel Aufmerksamkeit genießen und teils heftig kritisiert werden.

Andere Impulse setzt der Senat mit der gezielten Ansiedlung von Studierenden und der geplanten Umwandlung der Stadtteile Altona, Eimsbüttel und St. Pauli zu Wohn-, Einkaufs- und Ausgehvierteln. Die seit 2011 unter dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz arbeitende Regierung hat zudem das Problem des mangelnden Wohnraums ins Auge gefasst. In den nächsten Jahren sollen pro Jahr 6.000 neue Wohneinheiten entstehen, darunter 1.200 öffentlich geförderte, mit Einstiegsmieten von 5,90 € pro Quadratmeter. Eine soziale Erhaltensverordnung für die Stadtteile St. Pauli, St. Georg und Ottensen soll dabei helfen, die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu erschweren. Allerdings zeigt sich in Bezug auf die bestehenden Mietpreise kein Wille oder keine Möglichkeit zur Begrenzung. Ein anderes Zeichen ist die Abkehr von Höchstgebotsverfahren und der Wille zu einer möglichen Umwandlung von leerstehendem Büro- in Wohnraum.

 

Stadtwerkstatt Hamburg – Bürgerdialog

Ein weiterer Ansatz der Stadt Hamburg ist die Einrichtung einer Stadtwerkstatt:

Im April 2012 hat der Hamburger Senat auf Ersuchen der Bürgerschaft beschlossen, eine „Hamburger Stadtwerkstatt“ als Plattform für Planungsinteressierte einzurichten, mit der „eine neue Planungskultur in Hamburg“ gefördert werden soll. Hamburg will diese neue Planungskultur durch eine Verstärkung der Information und Partizipation bei Stadtentwicklungsprojekten und Umweltschutzthemen erreichen. Dazu zählen alle Informations- und Beteiligungsverfahren, die über die formelle, d.h. die im Baugesetzbuch geregelte Bürgerbeteiligung hinausgehen. Die Stadtwerkstatt bildet das Dach dieser Beteiligungsverfahren, der laufenden wie der zukünftigen. Dies schreibt der Hamburger Senat in einer Drucksache fest.

Die neue Planungskultur der Stadt Hamburg soll durch stärkere Information und Partizipation gekennzeichnet sein. Dabei sollen die Menschen frühzeitig, umfassend, fair, transparent und nachvollziehbar in die Planungsverfahren miteinbezogen werden. Dazu veranstaltet die Stadtwerkstatt Info-Abende, öffentliche Diskussionen, Wettbewerbe und Freiraumgestaltungen. Über die Mitwirkung an Diskussionen und Runden Tischen können Bürgerinnen und Bürger Vorschläge zu Planungsentscheidungen einreichen und ihre Interessen artikulieren. Der Stadtwerkstatt steht ein Dialogbeirat zur Seite, der sich aus 25 Vertretern von Hochschulen, Stiftungen, Verbänden, Institutionen, Kammern, Unternehmen und weiteren Multiplikatoren zusammensetzt. Dadurch werden auch andere Interessen als die der Politik und finanzstarker Investoren berücksichtigt. Zusätzlich nennt die Stadtwerkstatt die Bedingungen für eine verstärkte Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Hamburg:

Grundvoraussetzung ist, dass alle Beteiligten den Willen zur Verständigung mitbringen und darauf vertrauen, ernst genommen zu werden, ergebnisorientiert zu denken und Kompromisse erzielen zu können. Das Interesse des Einzelnen, der Gruppe und das Allgemeinwohl müssen in Einklang gebracht werden. Der Informationsaustausch soll fair und offen verlaufen. Die informellen Beteiligungsverfahren unterstützen die Planung. Sie ersetzen nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Prozesse, sondern ergänzen diese. Die demokratisch gewählten Institutionen und Gremien müssen letztlich die Entscheidungen treffen.

Der Wille zur Verständigung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung. Dazu kommt das benötigte Vertrauen, sich gegenseitig ernst zu nehmen und im Sinne einer Ergebnisorientierung Kompromisse erzielen zu können. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass Partizipation ihre Grenzen hat: Die informellen Beteiligungsverfahren sind lediglich ergänzend und unterstützend. Es gibt eine Reihe von demokratisch gewählten Institutionen und Gremien, die für bestimmte Entscheidungen zuständig sind. Das vielfältige Netzwerk „Recht auf Stadt" ist ein Weg, die Bürgerbeteiligung von unten anzugehen. Der Weg zu einer umfassenden Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist noch lang, doch viele neue Projekte und Initiativen bemühen sich darum. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt steht dabei vor dem Problem, der Stadt in ihrer Komplexität und Wandelbarkeit gerecht zu werden.

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